Freitag, 15. August 2014

Elemental

Kapitel 2 - Teil 2

Die Fenster im Vorzimmer waren geöffnet worden und ein sanfter Luftzug fuhr in Janas Haare als sie aus dem Prüfungsraum trat. Torben hatte sich an eines der Fenster gestellt und schien mit mäßigem Interesse die Wiese vor dem Schloss zu betrachten. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, es würde wohl noch ein paar Stunden bis zum Sonnenuntergang dauern. Horge war verschwunden. Er hatte sich beeilt den Prüfungsraum vor den anderen zu verlassen und war nirgends zu sehen.
 Jana setzte sich auf einen der bereitgestellten Stühle und legte den Kopf in den Nacken. Eine wilde Jagt fand auf der Deckenmalerei über ihr statt. Adelige und Herrscher ritten mit würdevollen Gesichtern einem gigantischen Eber nach, der bereits wie ein Nadelkissen von Speeren durchbohrt war. Im Hintergrund, stach eine Stadt scharf aus der Landschaft vor. Jana schloss die Augen und lauschte ihrem eigenen Atem. Durch die offenen Fenster kamen leise Geräüsche aus Jehringen. Das Klappern von Karren, das geschäftige Rufen der Händler auf dem Sonntagsmarkt. Kirchglocken waren zu hören, sie schlugen vier, nein, fünf mal. Ein paar Kinderrufe erklangen für eine Weile und verschwammen wieder mit dem Brummen der Stadt.
 Jana musste eingeschlafen sein, das Zufallen einer Tür lies sie hochschrecken. Der junge Begleiter Joseph von Wolkensteins stand im Raum. Er hatte seinen Talar abgelegt und trug eine militärisch anmutende, schwarze Uniform. Seine Wangen waren gerötet, als hätte er angestrengt gearbeitet. In dem dunklen Prüfungszimmer und mit dem weiten Talar hatte Jana ihn für vierzig gehalten, nun musste sie zugeben, dass er kaum älter als dreißig Jahre sein konnte. Torben hatte sich nicht vom Fenster wegbewegt und musterte den Juror interessiert. "Herr Horge hat uns schon verlassen, wie ich sehe," stellte der Mann sachlich fest und pausierte kurz. "Torben zu Furchengrundt, es wird Sie freuen, dass das Komitee mehr von ihnen hören will, fühlen Sie sich frei wieder zurück in den Raum zu gehen. Fräulein Hohenfels, würden Sie bitte mit mir kommen?" Jana schluckte schwer und sah zu Boden. Sie spürte ein schmerzendes Stechen in der Brust, als habe sie etwas wertvolles für immer verloren. Mit ihrem Bruder Friedrich hatte Sie noch am Morgen gescherzt, dass sie unter lauter Adeligen wohl kaum eine Chance auf einen Platz an der Akademie haben würden. Sie hatte es sogar geschafft sich selbst davon zu überzeugen, dass sie auch einen Fehlschalg ohne weiteres akzeptieren würde. Jetzt stellte sich das als Lüge heraus. Sie fühlte ihre Augen feucht werden und musste sich alle Mühe geben nicht vor einem Fremden in Tränen auszubrechen. Erneut schlug die Tür zu und Jana sah hoch. Torben war im Prüfungszimmer verschwunden und der Mann betrachtete sie mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. "Ich fürchte Herr Wolkenstein hat versäumt Ihnen jemand anderen als sich selbst vorzustellen. Ich bin Martin Bahlen. Für den Lauf der nächsten Woche bin ich ebenfalls ein Juror für die Aufnahmeprüfungen." 
 Jana nickte verwirrt. Der Knoten in ihrem Magen machte es unmöglich für sie ein Wort hervorzubringen, aber die Freundlichkeit Bahlens hatte eine beruhigende Wirkung. "Mir ist klar, dass es vermutlich ein schwerer Schlag für Sie ist nicht an die Akademie gehen zu können" fuhr er fort und bedeutete Jana ihm zu folgen. "Haben sie sich einmal die Zeit genommen durch die Schlossgärten zu spazieren? Die Farben der Blätter sind besonders im Herbst sehr beeindruckend."
 Verdutzt erhob sich Jana. Martin Bahlen hatte den Raum bereits verlassen und sie musste sich beeilen um wieder anzuschließen. In den vergangenen Wochen war sie in die Bibliothek und von dort wieder zum Schlosstor geleitet worden. Das Betreten eines anderen Teil des Schlosses, oder des Gartens, war ihr jedoch verboten worden. Bahlen marschierte zielstrebig durch die Korridore, als kenne er das Schloss wie seine Westentasche, dann stieß er eine große Flügeltür auf und trat ins Freie.

Donnerstag, 14. August 2014

Elemental

Kapitel 2 - Teil 2

Ein Mann mit kurzen, schwarzen Haaren und einer Reihe teurer Ringe erhob sich und nahm einige Papiere in die Hand. Jana bemerkte, dass er die drei Bewerber zwar vage ansah, Horge aber keines Blickes zu würdigen schien. "Die Fragen werden jeweils an eine Person adressiert. Beantworten Sie keine für einen anderen gedachte Frage, wenn sie nicht explizit dazu aufgefordert werden." erklärte er mit einem spürbar gelangweilten Unterton. "Jegliche Versuche die Prüfer zu hintergehen werden mit Disqualifikation geahndet. Ich wünsche Ihnen kein Glück, das wird ihnen nichts nutzen. Lasst uns beginnen." Er setzte sich wieder und Wolkenstein ergriff erneut das Wort. "Kommen wir zur Sache. Fräulein Hohenfels, können Sie mir sagen wer Garlen von Hoffenheim war und für welche Erfindung er bekannt ist?"
 Janas Herz begann zu pochen, als wolle es ausbrechen und aus dem Raum fliehen. Es hatte begonnen. Sie begann sich zu erheben, doch mitten in der Bewegung winkte der Vorsitzende ab. "Bleiben Sie ruhig sitzen, das spart Zeit."
 Jana nickte und holte einige Male tief Luft. Die Aufregung schnürte ihr beinahe die Kehle ab. Aus ihren Augenwinkeln sah sie den Baron von Jehringen. Er grinste.
"Garlen von Hoffenheim war ein Antielementar am Hofe des Königs von Surland von zweihundert Jahren. Er forschte im Bereich der Bekämpfung von Zeitelementaren und ist berühmt für die noch heute gebräuchlich Technik des... Zeitstopp stoppens." Jana war unwillkürlich beim Sprechen aufgestanden und setzte sich nun langsam. Sie war leicht außer Atem, aber die Aufregung hatte sich gelegt. Der Baron hatte aufgehört zu grinsen, was Jana mit einem Anflug trotziger Genugtuung erfüllte.
Joseph von Wolkenstein schob seine Papiere umher und nickte schließlich. "Die Technik wird Gegenwartskäfig genannt, abgesehen davon ist die Antwort richtig. Horge, können Sie mir erklären warum Lavaelementare als doppelklassifizierte und nicht als unklassifizierte Elementare eingestuft werden?" Jana wusste die Antwort. Zusammen mit ihrem Bruder Friedrich hatte sie nach der Bestätigung beider ihrer Anmeldungen wochenlang in der Schlossbibliothek gesessen und müsahm die dicken, ledergebundenen Bücher durchgearbeitet.
 Horge schluckte schwer und erhob sich. Der Baron von Jehringen sah so aus als wolle er einen Kommentar abgeben, unterlies dies aber nach einem Seitenblick Wolkenstein. "Die Lavaelementare, ähm..." begann Horge und sah sich hilflos nach etwas um was ihm auf die Sprünge helfen könnte. "Die Doppelklassifizierung existiert weil Lava... kein Feuer und kein Stein ist. Lavaelementare lassen sich also keiner Elementgruppe zuordnen."
 Wolkenstein reagierte kaum, aber Jana wusste, dass die Antwort falsch war. "Herr zu Furchengrundt. Können sie ihrem Mitbewerber weiterhelfen?" sagte Baron von Jehringen schließlich mit einem verächlichen Blick auf den Schmiedesohn. Für einen Augenblick schien es als wolle Torben protestieren, doch dann nahm sein Gesicht wieder den gewohnt stolzen Ausdruck an. "Lavaelementare sind nicht aus den genannten Gründen doppelt klassifiziert, weil sie das unklassifiziert machen würde. Die Doppelklassifizierung kommt aus der Kombination von Gesteinselementaren und Hitzeelementaren, denen Lava ohne Zweifel beiden angehört." Wolkenstein nickte und wandte sich erneut and Jana. "Fräulein Hohenfels, welche Gruppen der unklassifizierten Elementare können Sie mir nennen?"
 
Im Laufe des Nachmittags wurde es schwül im Raum. Niemand hatte sich angeschickt eines der Fenster zu öffnen. Baron von Jehringen stellte nun den Großteil der Fragen, während Joseph von Wolkenstein begonnen hatte sich mit einem Stapel Papiere Luft zuzufächern. Die restlichen drei Juroren hätten ebensogut abwesend sein können. Zwei von ihnen hatte Jana als Mitglieder des Stadtrates wiedererkannt. Der dritte, der jüngere Mann mit stoppeligem Bart, der zu Beginn gelacht hatte, war mit Wolkenstein angereist. Er schien die Bewerber geradezu übermäßig interessiert zu mustern, sagte aber kein Wort.

Jana war mit ihrer Leistung zufrieden. Einige Fachbegriffe kannte sie noch nicht und sie brauchte länger als ihre Konkurrenten um ihre Antworten zu formuieren, aber selbst Torben hatte begonnen seine Schwächen zu zeigen. Sein Wissen war unglaublich präzise wenn es um die Kenntnisse spezieller Elementarkräfte ging, aber bei den Fragen zu historischen Persönlichkeiten fielen seine Antworten kurz und ungenau aus. Horge hingegen war immer weiter in den Hintergrund geraten. Kaum eine Frage konnte er auch nur teilweise beantworten. Irgendwann winkte er einfach nur ab und starrte betrübt auf den Tisch vor sich. Der Baron hörte auf ihm Fragen zu stellen und bald schien es als säßen Jana und Torben alleine vor den Juroren.

"Das reicht." Joseph von Wolkenstein erhob sich mit einem Ruck. "Ich hoffe Sie haben gegeben was Sie konnten. Bitte warten Sie vor der Tür bis wir unsere Beratung abgeschlossen haben."

Dienstag, 12. August 2014

Elemental

Kapitel 2 - Teil 1

Der Vorsitzende des Zulassungskomitees schob gelangweilt seine Brille zurecht und warf einen Blick auf den Stapel Papiere vor sich. Ein Stuhl ächzte, als sich einer der anderen Juroren gemächlich zurücklehnte, dann herrschte einen Moment Ruhe. Vor den Fenstern schien die Spätsommersonne großzügig auf den Hofgarten herab, aber die dicken Satinvorhänge waren zugezogen. Eine Kerze flackerte unruhig.
 "Sie sind die erste Gruppe?" Die Stimme des Vorsitzenden klang sanfter als Jana es erwartet hatte, beinahe liebenswürdig. Joseph von Wolkenstein war ein Berg von einem Mann, berüchtigt für seinen Appetit auf Banketten. Das Ächzen des zarten Eichenstuhls unter ihm tat seiner autoritären Ausstrahlung keinen Abklang. Dieser Mann war am Hofe eines Königs aufgewachsen und setzte sich mit jeder seiner Gesten vom gemeinen Stadtadel ab.
 Einer der beiden Jungen, die links und rechts von Jana Platz genommen hatten nickte und erhob sich. Der jüngste Sohn des Grafen zu Furchengrundt, sie hatte ihn ein paarmal auf Dorffesten gesehen. Sein Name war ihr entfallen. "Torben zu Furchengrundt, zu Ihren Diensten." Er machte eine gelenke Verbeugung und setzte sich wieder, den Blick auf seine beiden Konkurrenten gerichtet.
 Links neben Jana sprang der andere Junge auf. Horge, der Sohn des Schusters. In der Schule hatte er sich einen Ruf als Tunichtgut erarbeitet und war öfter in der Werkstatt, als im Klassenzimmer aufzufinden gewesen. Es wunderte Jana, dass er nun eine Zulassung in die königliche Akademie anzustreben schien. "Horge, mein Herr. Ich habe keinen zweiten Namen. Es ist mir eine Ehre hiersein zu dürfen." Er zitterte leicht, als er sich verbeugte. Joseph von Wolkenstein schob einige Papiere zurecht und warf zum ersten Mal einen Blick auf die drei jungen Menschen vor sich. "Du bist ein Bastard?" fragte er schließlich ohne sich eine Spur von Herablassung anmerken zu lassen. Von der Seite sah Jana, wie Horge inmitten seiner tiefen Verbeugung scharlachrot anlief. "Ich... ja, Herr," antwortete er stotternd. Der Vorsitzende nickte leicht und musterte Jana. "Wollen Sie sich nicht auch vorstellen, Fräulein Hohenfels? Oder soll ich das für Sie erledigen?" sagte er nach einem Moment Pause. Einer der anderen vier Juroren lachte kurz, ein jüngerer Mann mit stoppeligem Bart. Die anderen schienen den Witz nicht einmal bemerkt zu haben.
 Nun war es an Jana zu erröten. Eilig stand sie auf und machte einen tiefen Knicks. Eine braune Locke löste sich aus ihrem Zopf und baumelte vor ihrem Auge herum. "Jana Hohenfels, zu ihren Diensten." stieß sie eilig hervor und setzte sich wieder.
 Das Ende der Vorstellungen schien die Juroren endlich aus ihrer anfänglichen Lethargie zu erwecken. Federn wurden gezückt und für kurze Zeit war das Rascheln der Papiere das einzige Geräusch im Raum. Dann ergriff Wolkenstein wieder das Wort. "Ich hoffe Sie kommen nicht völlig unvorbereitet hierher? Ich möchte sie darauf hinweisen, dass dieses Zulassungsgespräch für Sie nicht ein zweites Mal stattfinden wird. Wenn Sie Fragen haben, dann stellen Sie diese jetzt, ansonsten beginnen wir." Er pausierte kurz, ohne den Blick auf die Prüflinge zu richten. Seine Frage war rein formal gemeint. Niemend würde etwas sagen. "Nun gut," sagte er schließlich. "Wir werden damit beginnen Ihnen einige theoretische Fragen aus verschieden Themengebieten zu stellen. Wenn das erledigt ist, wird es eine kurze Pause geben, in der das Komitee die Ergebnisse bespricht. Anschließend werden wir möglicherweise einen von Ihnen zu einer persönlichen Vorstellung noch einmal hereinrufen. Baron von Jehringen, fahren Sie fort?"

Donnerstag, 31. Juli 2014

Elemental

Kapitel 1 - Teil 2

Er hatte den Satz kaum zuende gesprochen, als der ältere der beiden Kpfgeldjäger sich auf die Knie fallen ließ und seine Hände tief in das matschige Erdreich vor seinen Füßen rammte. Vor Roderiks Füßen brach der nasse Waldboden auf. Eine scharfe Felsnadel schoss aus dem Schlamm und zerriss die Luft dort wo noch vor dem Bruchteil einer Sekunde Roderiks Kopf gewesen war.
 Die Augenbrauen des älteren Mannes zogen sich überrascht zusammen. Sein Blick war auf seinen Gegner gerichtet, der jetzt einige Meter über den beiden Männern an einem der Bäume hing. Lediglich ein paar zitternde Äste ließen darauf schließen wie er dorthin gekommen war.
 Der jüngere Kopfgeldjäger schien dem Geschehen keine Beachtung zu schenken. Er murmelte unverständlich einige Sätze und starrte völlig geistesabwesend in den Himmel über sich. Ein scharfer Wind war aufgekommen. Roderik hielt kurz inne und warf einen Blick auf die Wolken, die begonnen hatten sich in bläuliches Schwarz zu färben. Dann sprang er wieder auf den Boden.
 Der ältere Mann reagierte ohne zögern. Wieder rammte er seine Fäuste in den Boden, diesmal schob er das Erdreich mit einer schwimmenden Bewegung auseinander.
 Roderiks hatte noch nicht einmal die Hälfte seines Sprunges hinter sich gebracht, als sich unter ihm ein Spalt auftat der mehrere dutzend Meter in den Boden zu reichen schien. Wurzelwerk war entzweigerissen worden und nasse Erde regnete in die Tiefe.
 Ausweichen war keine Option mehr. Roderik warf einen kurzen Blick auf die nahen Bäume und streckte seine Arme gebietend in ihre Richtung. Wie im Zeitraffer sprossen aus den Baumrinden lange, dünne Ranken, die auf die hilfesuchenden Finger des Mannes zuschossen.
 Roderik hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Sein Blick streifte den des jungen Mannes, der aufgehört hatte in den Himmel zu starren und ihn unverwandt anblickte. Ohne den Blick abzuwenden begann er mit seinem Zeigefinger eine kreisende Bewegung auszuführen. Schneller und immer schneller.
 Eine Böe, stark wie ein Orkan, erfasste die Ranken und schleuderte sie wie Fäden beiseite. Der Spalt verschluckte Roderik in einem Stück und schloss sich so schnell über ihm, wie er sich geöffnet hatte. Einen kurzen Moment lang herrschte vollkommene Stille im Wald. Dann hustete der ältere der beiden Männer trocken und streckte sich gemächlich.
 "Hoffentlich ist sein Gesicht noch zu erkennen. Wenn die überhaupt wussten wie Roderik aussah." verkündete er schließlich müde.
 Der Jüngere der beiden zitterte nicht mehr. Sein Gesichtsausdruck war unverändert ernst, lediglich seine Augen schienen von dem Geschehen mitgerissen worden zu sein und leuchteten aufgeregt. Auf ein Zeichen des Älteren öffnete sich der Spalt erneut, diesmal langsamer als vorher. Die beiden Männer traten näher und warfen suchende Blicke in den Schlund. "Nicht mehr als ein paar Blutspritzer, das wird der Inquisition nicht gefallen." grummelte der ältere der beiden schließlich und trat wieder ein paar Schritte zurück.
 Der Jüngere nickte und kniete an dem Rand des Spaltes nieder. Tatsächlich waren einige Blutspuren zu sehen, vieles schien jedoch von der Erde verschluckt worden zu sein. Die Sonne war noch immer hinter einer dichten Wolkendecke verborgen und es war schwer den tieferen Teil des Spaltes zu sehen, viel von einer Leiche war jedoch nicht zu entdecken. Vermutlich hatte sich der neue Spalt nicht an der gleichen Stelle aufgetan. Der junge Mann nickte ruckartig und griff nach einem kleinen Stofffetzen. Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme sanft, und melodisch. "Wir müssen den Boden genauer durchsieben, vielleicht finden wir..." Weiter kam er nicht. Hätte er sich zum Sprechen umgedreht hätte er möglicherweise den Holzpflock kommen sehen, den Roderik in seinen Begleiter geschleudert hatte. Wenigstens den zweiten, messerscharfen Keil hätte er entdeckt bevor er sich durch seine Kehle bohrte, doch so sackte er gurgelnd am Rand des Spaltes in sich zusammen.

Roderik trat gänzlich aus dem Baum heraus und stürzte augenblicklich zuboden. Vor einigen Monaten hätte er es wohl noch geschafft, in der Zeit in der sich der Spalt geschlossen hatte, gänzlich mit den zerrissenen Wurzeln zu verschmelzen. Der blutende Stumpf an dem einmal sein Handgelenk gewesen war, zeigte ihm jedoch wie sehr die monatelange Reise ihm zugesetzt hatte. Roderik warf einen kurzen Blick auf die sterbenden Kopfgeldjäger, bevor er sich unter einer neuen Welle des Schmerzes zusammenkrümmte. Es tat ihm Leid, dass er den Baum hatte zwingen müssen Pflöcke aus eigenem Holz auf seine beiden Gegner zu schießen, doch es hatte sein Leben gerettet. Vorsichtig versuchte er zu seinem Rucksack in der Jagthütte zu kriechen, doch der stechende Schmerz in seinem Unterarm ließ ihn augenblicklich innehalten. Roderik stieß einen animalischen Schrei aus, bevor er wieder die Zähne zusammenbiss. Dunkelheit begann sich vom Rand seines Blickfeldes auszubreiten und der erschöpfte Wanderer lehnte sich mit letzter Kraft an den Baum. Wenn seine Informationen stimmten, wäre das Ziel seiner Reise jedes Opfer wert. Eine Hand, oder ein Leben spielten keine Rolle.
Stunden später brach die Sonne wieder aus den Wolken hervor und leuchtete vorsichtig auf den Waldweg herab. Die Natur hatte begonnen den Pfad wieder unter Kontrolle zu bringen. Lehm und feuchte Erdbrocken hatten Teile des Spaltes gänzlich zugeschüttet und ein hungriger Wolf nagte an einer der beiden Leichen. In der Jagthütte waren ein paar blutige Leinentücher achtlos in eine Ecke geworfen worden und auf dem Dach jagte ein aufgebrachtes Eichhörnchen einem Borkenkäfer hinterher.

Mittwoch, 30. Juli 2014

Elemental

Kapitel 1 - Teil 1

Ein unruhiges Zittern lag in der Luft. Die milde Spätsommersonne war hinter einer schwarzen Wolkenbank versunken und ein scharfer Wind war aufgekommen. Ein zufällig vorbeilaufender Wanderer hätte sich beeilt um Schutz für die Nacht zu suchen, doch der Mann auf dem Dach der morschen Jägerhütte hatte eine meditative Haltung angenommen. Ein metallischer Geschmack in der Luft war ihm vor einigen Stunden aufgefallen und so hatte er sich beeilt den Wald zu erreichen. Sein Rucksack lag in der Hütte, unter einem zerbrochenen Tisch. Dort wo er nicht nass werden würde.
 Der Regen setzte geradezu unnatürlich plötzlich ein, als hätte jemand einen Eimer gefüllt der nun überlief. Binnen weniger Sekunden hatten sich Pfützen auf dem Weg gebildet und zwischen den Wurzeln der Bäume formten sich kleine Sturzbäche. Minutenlang ergoss sich die Flut über den Mann auf dem Dach, der regungslos, mit überschlagenen Beinen in die Ferne starrte. Die besten Jahre hatte er bereits hinter sich. Sein struppiger, grauer Bart wuchs völlig ungehindert in jede mögliche Richtung und die schlichte Stoffkleidung, die ihn mehr schlecht als recht vor dem Wetter zu schützen schien war alt und wenig gepflegt. Auf einigen Stellen seiner Hose zeigten sich Spuren von Moos und Flechten, als habe der Mann Monate in der Wildnis verbracht.
 Ein kleines Eichhörnchen hatte neben dem Rucksack Schutz vor dem Platzregen gesucht und schnüffelte neugierig in den wenigen Habseligkeiten des Wanderers herum. Der Mann schien völlig in sich gekehrt. Seine Augen waren geschlossen, lediglich sein Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen.
 Der Regen ebbte so plötzlich ab wie er begonnen hatte. Die letzten Tropfen würden noch ein paar Minuten brauchen um ihren Weg durch die Baumkronen zu finden, der metallische Geruch war jedoch gänzlich verschwunden. Der Mann hatte seine Augen geöffnet und beobachtete den schmalen, zur Hütte führenden Waldpfad, als erwarte er etwas bestimmtes. Minutenlang geschah nichts. Die nussbraunen Augen des Wanderers bewegten sich kaum vom Pfad weg. Das Eichhörnchen hatte sich mit einer feuchten Ecke Brot längst aus dem Staub gemacht, als Schritte in der Ferne erklangen. Zwei oder drei Personen, die sich rasch näherten. Der Mann schien kaum zu reagieren. Seine Kiefermuskeln spannten sich leicht an und sein Blick wanderte ein paar Sekunden lang prüfend über die Baumkronen. Dann wandte er sich wieder dem Pfad zu. Die klare Luft des reingewaschenen Waldes war einem moderigen, fast fauligem Geruch gewichen, als habe der Regen das Erdwerk hoch in die Luft gewirbelt.
 Ein Husten ertönte und zwei Männer traten in das Blickfeld des regungslosen Wanderers. Beide waren in die gleiche, mit schlichtem Hanfseil gebundene, grünliche Kutte gekleidet und unterschieden sich lediglich in der Form der Brosche die sie trugen. Der Mann auf dem Dach nickte ihnen kaum merklich zu und der ältere der Neuankömmlinge nickte zurück. Ein paar Sekunden lang blickten sich beide Parteien schweigend an. Der jüngere der beiden Wanderer schien nervös zu zittern, aber seine Miene war ernst und wie aus Stein gehämmert.
 "Viertausend Goldstücke, Roderik Harlen. Ihr seid ein teurer Mann," sagte der Ältere schließlich mit einer sanften, tiefen Stimme. Roderik, der Mann auf dem Dach der Hütte, nickte leicht.
 "Die Inquisition ist nicht für ihren Geiz bekannt, nicht wahr?" antwortete er krächzend, als habe er lange nicht mehr gesprochen. "Ich kann Euch leider nicht mehr bieten als das was ich am Leibe habe." Roderik schien völlig gelassen auf dem Hüttendach zu sitzen, sein Blick tastete jedoch jedes Detail seiner beiden Verfolger ab. Der jüngere der beiden musste den Regen verursacht haben um ihn zu finden. Noch immer ging ein leichter Rostgeruch von ihm aus und der Kopfgeldjäger schien vor Erschöpfung zu beben.
 Beide Seiten schienen sich prüfend anzustarren, schließlich ergriff der Ältere wieder das Wort. "Der Auftrag setzt euren Tod nicht voraus, Roderik. Wir haben uns eine fabelhafte Verfolgungsjagd geliefert, es wäre eine Schande jetzt kämpfen zu müssen." Roderik erhob sich aus seinem Schneidersitz und klopfte langsam den gröbsten Dreck von seiner Hose. Die beiden Männer sahen bewegungslos dabei zu wie er langsam, aber scheinbar ohne jegliche Anstrengung von der Hütte kletterte und sich ruhig in die Mitte des Weges stellte. Schließlich stieß Roderik einen langgezogenen Seufzer aus und schüttelte vehement den Kopf. "Ich fürchte das ist keine Option mehr, meine Herren."

Er hatte den Satz kaum zuende gesprochen, als der ältere der beiden Kpfgeldjäger sich auf die Knie fallen ließ und seine Hände tief in das matschige Erdreich vor seinen Füßen rammte. Vor Roderiks Füßen brach der nasse Waldboden auf. Eine scharfe Felsnadel schoss aus dem Schlamm und zerriss die Luft dort wo noch vor dem Bruchteil einer Sekunde Roderiks Kopf gewesen war.
 Die Augenbrauen des älteren Mannes zogen sich überrascht zusammen. Sein Blick war auf seinen Gegner gerichtet, der jetzt einige Meter über den beiden Männern an einem der Bäume hing. Lediglich ein paar zitternde Äste ließen darauf schließen, dass er blitzschnell dort hinaufgeklettert sein musste.
 Roderik warf seinen beiden Verfolgern einen prüfenden Blick zu.Der jüngere Kopfgeldjäger schien dem Geschehen keine Beachtung zu schenken. Er murmelte unverständlich einige Sätze und starrte völlig geistesabwesend in den Himmel über sich. Ein scharfer Wind war aufgekommen. Roderik hielt kurz inne und warf einen Blick auf die Wolken, die begonnen hatten sich in bläuliches Schwarz zu färben. Dann sprang er wieder auf den Boden.
 Der ältere Mann reagierte ohne zögern. Wieder rammte er seine Fäuste in den Boden, diesmal schob er das Erdreich mit einer schwimmenden Bewegung auseinander.
Roderiks hatte lediglich einen Bruchteil seines Sprunges hinter sich gebracht, als sich unter ihm ein Spalt auftat der mehrere dutzend Meter in den Boden zu reichen schien. Wurzelwerk war entzweigerissen worden und nasse Erde regnete in die Tiefe.
Ausweichen war keine Option mehr. Roderik warf einen kurzen Blick auf die nahen Bäume und streckte seine Arme gebietend in ihre Richtung. Wie im Zeitraffer sprossen aus den Baumrinden lange, dünne Ranken, die auf die hilfesuchenden Finger des Mannes zuschossen.
 Roderik hatte die Rechnung ohne seine Gegner gemacht. Sein Blick streifte den des jungen Mannes, der aufgehört hatte in den Himmel zu starren und ihn unverwandt anblickte. Ohne den Blick abzuwenden begann er mit seinem Zeigefinger eine kreisende Bewegung auszuführen. Schneller und immer schneller.
 Eine Böe, stark wie ein Orkan, erfasste die Ranken und schleuderte sie wie Fäden beiseite. Der Spalt verschluckte Roderik in einem Stück und schloss sich so schnell über ihm, wie er sich geöffnet hatte. Einen kurzen Moment lang herrschte vollkommene Stille im Wald. Dann hustete der ältere der beiden Männer trocken und streckte sich gemächlich.
"Hoffentlich ist sein Gesicht noch zu erkennen. Wenn die überhaupt wussten wie Roderik aussah." verkündete er schließlich müde.
 Der Jüngere der beiden zitterte nicht mehr. Sein Gesichtsausdruck war unverändert ernst, lediglich seine Augen schienen von dem Geschehen mitgerissen worden zu sein und leuchteten aufgeregt. Auf ein Zeichen des Älteren öffnete sich der Spalt erneut, diesmal langsamer als vorher. Die beiden Männer traten näher und warfen suchende Blicke in den Schlund. "Nicht mehr als ein paar Blutspritzer, das wird der Inquisition nicht gefallen." grummelte der ältere der beiden schließlich und trat wieder ein paar Schritte zurück.
Der Jüngere nickte und kniete an dem Rand des Spaltes nieder. Tatsächlich waren nur einige Blutspuren zu sehen, vieles schien von der Erde verschluckt worden zu sein. Die Sonne war noch immer hinter einer dichten Wolkendecke verborgen und es war schwer den tieferen Teil des Spaltes zu sehen, eine Leiche ließ sich jedoch nicht entdecken. Vermutlich hatte sich der neue Spalt nicht an der gleichen Stelle aufgetan. Der junge Mann nickte ruckartig und griff nach einem kleinen Stofffetzen. Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme sanft, und melodisch. "Wir müssen den Boden genauer durchsieben, vielleicht finden wir..." Weiter kam er nicht. Hätte er sich zum Sprechen umgedreht hätte er möglicherweise den Holzpflock kommen sehen, den Roderik in seinen Begleiter geschleudert hatte. Wenigstens den zweiten, messerscharfen Keil hätte er entdeckt bevor er sich durch seine Kehle bohrte, doch so sackte er gurgelnd am Rand des Spaltes in sich zusammen.

Roderik trat gänzlich aus dem Baum heraus und stürzte augenblicklich zuboden. Vor einigen Monaten hätte er es wohl noch geschafft, in der Zeit in der sich der Spalt geschlossen hatte, gänzlich mit den zerrissenen Wurzeln zu verschmelzen. Der blutende Stumpf an dem einmal sein Handgelenk gewesen war, zeigte ihm jedoch wie sehr die lange Reise ihm zugesetzt hatte. Roderik warf einen kurzen Blick auf die sterbenden Kopfgeldjäger, bevor er sich unter einer neuen Welle des Schmerzes zusammenkrümmte. Es tat ihm Leid, dass er den Baum hatte zwingen müssen Pflöcke aus eigenem Holz auf seine beiden Gegner zu schleudern, doch es hatte sein Leben gerettet. Vorsichtig versuchte er zu seinem Rucksack in der Jagthütte zu kriechen, doch der stechende Schmerz in seinem Unterarm ließ ihn augenblicklich innehalten. Roderik stieß einen animalischen Schrei aus, bevor er wieder die Zähne zusammenbiss. Dunkelheit begann sich vom Rand seines Blickfeldes auszubreiten und der erschöpfte Wanderer lehnte sich mit letzter Kraft an den Baum. Wenn seine Informationen stimmten, wäre das Ziel seiner Reise jedes Opfer wert. Eine Hand, oder ein Leben spielten keine Rolle.


Stunden später brach die Sonne wieder aus den Wolken hervor und leuchtete vorsichtig auf den Waldweg herab. Die Natur hatte begonnen den Pfad wieder unter Kontrolle zu bringen. Lehm und feuchte Erdbrocken hatten Teile des Spaltes gänzlich zugeschüttet und ein hungriger Wolf nagte an einer der beiden Leichen. In der Jagthütte waren ein paar blutige Leinentücher achtlos in eine Ecke geworfen worden und auf dem Dach jagte ein aufgebrachtes Eichhörnchen einem Borkenkäfer hinterher.