Elemental
Kapitel 1 - Teil 1
Ein
unruhiges Zittern lag in der Luft. Die milde Spätsommersonne war
hinter einer schwarzen Wolkenbank versunken und ein scharfer Wind war
aufgekommen. Ein zufällig vorbeilaufender Wanderer hätte sich
beeilt um Schutz für die Nacht zu suchen, doch der Mann auf dem Dach
der morschen Jägerhütte hatte eine meditative Haltung angenommen.
Ein metallischer Geschmack in der Luft war ihm vor einigen Stunden
aufgefallen und so hatte er sich beeilt den Wald zu erreichen. Sein
Rucksack lag in der Hütte, unter einem zerbrochenen Tisch. Dort wo
er nicht nass werden würde.
Der
Regen setzte geradezu unnatürlich plötzlich ein, als hätte jemand
einen Eimer gefüllt der nun überlief. Binnen weniger Sekunden
hatten sich Pfützen auf dem Weg gebildet und zwischen den Wurzeln
der Bäume formten sich kleine Sturzbäche. Minutenlang ergoss sich
die Flut über den Mann auf dem Dach, der regungslos, mit
überschlagenen Beinen in die Ferne starrte. Die besten Jahre hatte
er bereits hinter sich. Sein struppiger, grauer Bart wuchs völlig
ungehindert in jede mögliche Richtung und die schlichte
Stoffkleidung, die ihn mehr schlecht als recht vor dem Wetter zu
schützen schien war alt und wenig gepflegt. Auf einigen Stellen
seiner Hose zeigten sich Spuren von Moos und Flechten, als habe der
Mann Monate in der Wildnis verbracht.
Ein
kleines Eichhörnchen hatte neben dem Rucksack Schutz vor dem
Platzregen gesucht und schnüffelte neugierig in den wenigen
Habseligkeiten des Wanderers herum. Der Mann schien völlig in sich
gekehrt. Seine Augen waren geschlossen, lediglich sein Brustkorb hob
und senkte sich in regelmäßigen Abständen.
Der
Regen ebbte so plötzlich ab wie er begonnen hatte. Die letzten
Tropfen würden noch ein paar Minuten brauchen um ihren Weg durch die
Baumkronen zu finden, der metallische Geruch war jedoch gänzlich
verschwunden. Der Mann hatte seine Augen geöffnet und beobachtete
den schmalen, zur Hütte führenden Waldpfad, als erwarte er etwas
bestimmtes. Minutenlang geschah nichts. Die nussbraunen Augen des
Wanderers bewegten sich kaum vom Pfad weg. Das Eichhörnchen hatte
sich mit einer feuchten Ecke Brot längst aus dem Staub gemacht, als
Schritte in der Ferne erklangen. Zwei oder drei Personen, die sich
rasch näherten. Der Mann schien kaum zu reagieren. Seine
Kiefermuskeln spannten sich leicht an und sein Blick wanderte ein
paar Sekunden lang prüfend über die Baumkronen. Dann wandte er sich
wieder dem Pfad zu. Die klare Luft des reingewaschenen Waldes war
einem moderigen, fast fauligem Geruch gewichen, als habe der Regen
das Erdwerk hoch in die Luft gewirbelt.
Ein
Husten ertönte und zwei Männer traten in das Blickfeld des
regungslosen Wanderers. Beide waren in die gleiche, mit schlichtem
Hanfseil gebundene, grünliche Kutte gekleidet und unterschieden sich
lediglich in der Form der Brosche die sie trugen. Der Mann auf dem
Dach nickte ihnen kaum merklich zu und der ältere der Neuankömmlinge
nickte zurück. Ein paar Sekunden lang blickten sich beide Parteien
schweigend an. Der jüngere der beiden Wanderer schien nervös zu
zittern, aber seine Miene war ernst und wie aus Stein gehämmert.
"Viertausend
Goldstücke, Roderik Harlen. Ihr seid ein teurer Mann," sagte
der Ältere schließlich mit einer sanften, tiefen Stimme. Roderik,
der Mann auf dem Dach der Hütte, nickte leicht.
"Die
Inquisition ist nicht für ihren Geiz bekannt, nicht wahr?"
antwortete er krächzend, als habe er lange nicht mehr gesprochen.
"Ich kann Euch leider nicht mehr bieten als das was ich am Leibe
habe." Roderik schien völlig gelassen auf dem Hüttendach zu
sitzen, sein Blick tastete jedoch jedes Detail seiner beiden
Verfolger ab. Der jüngere der beiden musste den Regen verursacht
haben um ihn zu finden. Noch immer ging ein leichter Rostgeruch von
ihm aus und der Kopfgeldjäger schien vor Erschöpfung zu beben.
Beide
Seiten schienen sich prüfend anzustarren, schließlich ergriff der
Ältere wieder das Wort. "Der Auftrag setzt euren Tod nicht
voraus, Roderik. Wir haben uns eine fabelhafte Verfolgungsjagd
geliefert, es wäre eine Schande jetzt kämpfen zu müssen."
Roderik erhob sich aus seinem Schneidersitz und klopfte langsam den
gröbsten Dreck von seiner Hose. Die beiden Männer sahen
bewegungslos dabei zu wie er langsam, aber scheinbar ohne jegliche
Anstrengung von der Hütte kletterte und sich ruhig in die Mitte des
Weges stellte. Schließlich stieß Roderik einen langgezogenen
Seufzer aus und schüttelte vehement den Kopf. "Ich fürchte das
ist keine Option mehr, meine Herren."
Er
hatte den Satz kaum zuende gesprochen, als der ältere der beiden
Kpfgeldjäger sich auf die Knie fallen ließ und seine Hände tief in
das matschige Erdreich vor seinen Füßen rammte. Vor Roderiks Füßen
brach der nasse Waldboden auf. Eine scharfe Felsnadel schoss aus dem
Schlamm und zerriss die Luft dort wo noch vor dem Bruchteil einer
Sekunde Roderiks Kopf gewesen war.
Die
Augenbrauen des älteren Mannes zogen sich überrascht zusammen. Sein
Blick war auf seinen Gegner gerichtet, der jetzt einige Meter über
den beiden Männern an einem der Bäume hing. Lediglich ein paar
zitternde Äste ließen darauf schließen, dass er blitzschnell dort
hinaufgeklettert sein musste.
Roderik
warf seinen beiden Verfolgern einen prüfenden Blick zu.Der jüngere
Kopfgeldjäger schien dem Geschehen keine Beachtung zu schenken. Er
murmelte unverständlich einige Sätze und starrte völlig
geistesabwesend in den Himmel über sich. Ein scharfer Wind war
aufgekommen. Roderik hielt kurz inne und warf einen Blick auf die
Wolken, die begonnen hatten sich in bläuliches Schwarz zu färben.
Dann sprang er wieder auf den Boden.
Der
ältere Mann reagierte ohne zögern. Wieder rammte er seine Fäuste
in den Boden, diesmal schob er das Erdreich mit einer schwimmenden
Bewegung auseinander.
Roderiks
hatte lediglich einen Bruchteil seines Sprunges hinter sich gebracht,
als sich unter ihm ein Spalt auftat der mehrere dutzend Meter in den
Boden zu reichen schien. Wurzelwerk war entzweigerissen worden und
nasse Erde regnete in die Tiefe.
Ausweichen
war keine Option mehr. Roderik warf einen kurzen Blick auf die nahen
Bäume und streckte seine Arme gebietend in ihre Richtung. Wie im
Zeitraffer sprossen aus den Baumrinden lange, dünne Ranken, die auf
die hilfesuchenden Finger des Mannes zuschossen.
Roderik
hatte die Rechnung ohne seine Gegner gemacht. Sein Blick streifte den
des jungen Mannes, der aufgehört hatte in den Himmel zu starren und
ihn unverwandt anblickte. Ohne den Blick abzuwenden begann er mit
seinem Zeigefinger eine kreisende Bewegung auszuführen. Schneller
und immer schneller.
Eine
Böe, stark wie ein Orkan, erfasste die Ranken und schleuderte sie
wie Fäden beiseite. Der Spalt verschluckte Roderik in einem Stück
und schloss sich so schnell über ihm, wie er sich geöffnet hatte.
Einen kurzen Moment lang herrschte vollkommene Stille im Wald. Dann
hustete der ältere der beiden Männer trocken und streckte sich
gemächlich.
"Hoffentlich
ist sein Gesicht noch zu erkennen. Wenn die überhaupt wussten wie
Roderik aussah." verkündete er schließlich müde.
Der
Jüngere der beiden zitterte nicht mehr. Sein Gesichtsausdruck war
unverändert ernst, lediglich seine Augen schienen von dem Geschehen
mitgerissen worden zu sein und leuchteten aufgeregt. Auf ein Zeichen
des Älteren öffnete sich der Spalt erneut, diesmal langsamer als
vorher. Die beiden Männer traten näher und warfen suchende Blicke
in den Schlund. "Nicht mehr als ein paar Blutspritzer, das wird
der Inquisition nicht gefallen." grummelte der ältere der
beiden schließlich und trat wieder ein paar Schritte zurück.
Der
Jüngere nickte und kniete an dem Rand des Spaltes nieder.
Tatsächlich waren nur einige Blutspuren zu sehen, vieles schien von
der Erde verschluckt worden zu sein. Die Sonne war noch immer hinter
einer dichten Wolkendecke verborgen und es war schwer den tieferen
Teil des Spaltes zu sehen, eine Leiche ließ sich jedoch nicht
entdecken. Vermutlich hatte sich der neue Spalt nicht an der gleichen
Stelle aufgetan. Der junge Mann nickte ruckartig und griff nach einem
kleinen Stofffetzen. Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme
sanft, und melodisch. "Wir müssen den Boden genauer
durchsieben, vielleicht finden wir..." Weiter kam er nicht.
Hätte er sich zum Sprechen umgedreht hätte er möglicherweise den
Holzpflock kommen sehen, den Roderik in seinen Begleiter geschleudert
hatte. Wenigstens den zweiten, messerscharfen Keil hätte er entdeckt
bevor er sich durch seine Kehle bohrte, doch so sackte er gurgelnd am
Rand des Spaltes in sich zusammen.
Roderik
trat gänzlich aus dem Baum heraus und stürzte augenblicklich
zuboden. Vor einigen Monaten hätte er es wohl noch geschafft, in der
Zeit in der sich der Spalt geschlossen hatte, gänzlich mit den
zerrissenen Wurzeln zu verschmelzen. Der blutende Stumpf an dem
einmal sein Handgelenk gewesen war, zeigte ihm jedoch wie sehr die
lange Reise ihm zugesetzt hatte. Roderik warf einen kurzen Blick auf
die sterbenden Kopfgeldjäger, bevor er sich unter einer neuen Welle
des Schmerzes zusammenkrümmte. Es tat ihm Leid, dass er den Baum
hatte zwingen müssen Pflöcke aus eigenem Holz auf seine beiden
Gegner zu schleudern, doch es hatte sein Leben gerettet. Vorsichtig
versuchte er zu seinem Rucksack in der Jagthütte zu kriechen, doch
der stechende Schmerz in seinem Unterarm ließ ihn augenblicklich
innehalten. Roderik stieß einen animalischen Schrei aus, bevor er
wieder die Zähne zusammenbiss. Dunkelheit begann sich vom Rand
seines Blickfeldes auszubreiten und der erschöpfte Wanderer lehnte
sich mit letzter Kraft an den Baum. Wenn seine Informationen
stimmten, wäre das Ziel seiner Reise jedes Opfer wert. Eine Hand,
oder ein Leben spielten keine Rolle.
Stunden
später brach die Sonne wieder aus den Wolken hervor und leuchtete
vorsichtig auf den Waldweg herab. Die Natur hatte begonnen den Pfad
wieder unter Kontrolle zu bringen. Lehm und feuchte Erdbrocken hatten
Teile des Spaltes gänzlich zugeschüttet und ein hungriger Wolf
nagte an einer der beiden Leichen. In der Jagthütte waren ein paar
blutige Leinentücher achtlos in eine Ecke geworfen worden und auf
dem Dach jagte ein aufgebrachtes Eichhörnchen einem Borkenkäfer
hinterher.